Fanprojekte wehren sich gegen Zahlen zur angeblichen Zunahme der Fan-Gewalt
Ist das Abbrennen von bengalischen Feuern Gewalt? Wenn ja, dann gibt es tatsächlich einen Anstieg der Gewalttäter in der Fan-Szene, wie es neue Zahlen nahe legen. Die Fans und ihre Projekte wehren sich gegen diese Art der Kriminalisierung – gewaltfrei.
Der spektakulärste Fall von Zuschauer-Ausschreitung während eines Fußballspiels der letzten Wochen ereignete sich am Hamburger Millerntor. Beim Spiel des FC St. Pauli gegen Schalke 04 wurde von der Haupttribüne ein voller Bierbecher auf den Linienrichter geworfen, das Spiel musste abgebrochen werden.
Von den Business-Sitzen
„Der Bierbecher-Werfer kam aus dem Business-Seats-Bereich“, sagte St. Pauli-Präsident Spieß. Also nicht aus dem Bereich, der laut der Zentralen Informationsstelle für Sporteinsätze für den von ihr diagnostizierten Anstieg der Fan-Gewalt verantwortlich ist.
Die ZIS hat in ihrem Jahresbericht für 2009/2010 eine Zunahme der Gewalttäter in Bereich Fußball um zehn Prozent auf 8765 Personen festgestellt und führt diesen Anstieg laut „Osnabrücker Nachrichten“ auch auf den zunehmenden Einfluss der Ultra-Gruppierungen zurück. Höchstwerte wurden auch bei den Zahlen für die eingeleiteten Strafverfahren, die Verletzungen und die geleisteten Arbeitsstunden der Polizei vermerkt.
DFL und Fanprojekte gegen Panikmache
Nachdem schon in der vergangenen Woche die Deutsche Fußball-Liga (DFL) über ihren Kommunikationschef Christian Pfennig vor Panikmache warnte, hat sich nun auch die Koordinationsstelle für Fanprojekte (KOS) für eine differenzierte Betrachtung ausgesprochen.
„In die von der ZIS erhobenen Zahlen gehen unseres Wissens auch die Verstöße gegen das Verbot von Pyrotechnik mit ein“, sagt KOS-Mitarbeiter Volker Goll gegenüber sport.zdf.de. „Bei den Fanprojekten sieht man das sehr differenziert: Die Anwendung von Pyrotechnik kann nicht einfach zur Gewalt gezählt werden, wenn dabei niemand zu Schaden kommt.“
Legales Abbrennen
Wenn man das Abbrennen von Bengalo-Feuern allerdings zu den Gewalttaten rechnet, wie es der DFB in seinen Statuten tut, liegt die Fokussierung auf die Ultra-Szene nahe.
„Pyrotechnik ist seit Jahrzehnten Bestandteil in der Fanszene, ist Ausdruck von Emotion“, sagt Martin Schwaak von der HSV-Ultra-Gruppe Chosen Few Hamburg. Um aus der Kriminalisierungsspirale herauszukommen, haben 50 Ultra-Gruppen Ende vergangenen Jahres ein Konzept vorgelegt, das einen legalen, verantwortungsvollen und sicheren Umgang mit Pyrotechnik im Stadion ermöglichen soll.
Der DFB prüft
Der DFB lässt dieses Konzept gerade intern von den zuständigen Stellen prüfen und will sich dann mit den Fans an einen Tisch setzen. „Diese Initiative hat den positiven Nebeneffekt, dass sich Fanorganisationen seriös und intensiv mit dem Thema auseinandersetzen“, sagte der Sicherheitsbeauftragte des DFB, Helmut Spahn, vor ein paar Wochen gegenüber sport.zdf.de. Seine Zuversicht ist inzwischen etwas gesunken, da das Abbrennen von Pyrotechnik nach der Gesprächszusage stark zugenommen habe. „Das war kontraproduktiv“, sagt Spahn heute. Das Gespräch mit der Ultra-Initiative solle am Saisonende dennoch stattfinden.
Dennoch beobachten die Fanprojekte eine neue Qualität der Interessensvertretung der Fans. „Auch auf der großen Fan-Demo in Berlin wurde deutlich, dass es in der aktiven Fanszene eine verstärkte Selbstreflexion und konstruktive Ansätze zum Dialog mit den Institutionen gibt“, sagt Volker Goll. Im Oktober 2010 hatten 4000 Fans für den Erhalt ihrer Kultur demonstriert.
Fußball als Moderator
„Oberste Priorität hat für uns der Dialog zwischen Fan-Gruppierungen, vor allem der Ultra-Bewegung, und der Polizei“, lautet Punkt 2 des Zehn-Punkte-Plan für mehr Sicherheit im Fußball, den DFB und DFL vor genau eine Jahr beschlossen haben. „Und wir als Fußball wollen dazu aktiv als Moderator beitragen.“
Diesem Versprechen sind die Spitzenverbände des deutschen Fußballs durch die Veranstaltung von Regionalkonferenzen in Dortmund, Augsburg und Hamburg nachgekommen, auf denen erstmals Akteure von Clubs und Polizei aus den Bereichen Fans, Sicherheit und Medien zusammentrafen.
„Neuer Input“
„Solche Diskussionen geben stets neuen Input, um die ganz konkreten Problem vor Ort zu lösen“, sagt Fanprojekt-Koordinator Volker Goll. Der direkte Dialog zwischen den Fans und den Verantwortlichen bei Vereinen und Polizei geht derzeit hauptsächlich von der Fan-Basis aus, wie die Bengalo-Initiative zeigt. „In dem sogenannten „Pyro-Legalisierungs-Konzept“ steckt ein großes Dialogangebot der Ultras“, sagt Volker Goll. „Wenn das nicht ernsthaft und ergebnisoffen behandelt wird, wäre das ein Rückschritt für alle Vermittlungsbemühungen.“
Ein weiteres Beispiel aus einer Vielzahl von lokalen Dialogangeboten, über die meist wenig berichtet wird, war der offene Brief von Bremer Ultras vor dem letzten Auswärtsspiel beim HSV, in dem sie konstruktive Vorschläge für eine von ihnen favorisierte Anfahrtsroute machten.
Zur Rede gestellt
Mehr Erfolg als mit dieser Initiative hatten die Werder-Ultras nach dem 0:4-Debakel ihrer Mannschaft in Hamburg. Sie blockierten den Spielerbus und zwangen Frings & Co zum Dialog. „Die Art und Weise wie sie das vorgebracht haben, war positiv und auch Mut machend“, sagte Klaus Allofs kurz danach. Seitdem hat Werder kein Spiel mehr verloren.
Quelle: http://m.zdf.de/sport/0/0,6733,8233730,00.html