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„Sogenannter Journalismus“ im Fanprojekt

Am 14.11. fand mit Andrej Reisin und seinem Vortrag „Sogenannter Journalismus – die mediale Darstellung von Fußballfans“ die Auftaktveranstaltung zu einer lockeren Reihe Infoabende im Fanprojekt statt. Gut 40 Interessierte fanden den Weg in den Block 39, um die Ausführungen des freien Journalisten zu hören.

Andrej Reisin berichtete über die Lücke, die zwischen journalistischem Anspruch und der heutigen Realität klafft. Auch im Journalismus sind die großen Ziele wie z.B., eine Gegenmeinung zur offiziellen Darstellung staatlicher Stellen zu sein, oft marktwirtschaftlichen Interessen gewichen.  Die Konkurrenz und der Druck, immer schneller berichten zu müssen, gehen zu Lasten der Qualität der Berichterstattung. So ist für eine gründliche Recherche zu oft kein Geld und keine Zeit vorhanden. „Sei schnell und zur Not oberflächlich“ beschreibt die Arbeitsanweisung, der sich viele „sogenannte“ Journalisten unterwerfen.
Die Spezialisierung der Berichterstatter trägt ihr übriges zu der verqueren Situation bei. Ein Sportjournalist soll über Sport berichten. So unterscheiden sich die Anforderungen für das Berichten über den Spielverlauf eines Fußballspiels exorbitant von jenen, welche sich z.B. polizeiliche Maßnahmen im Umfeld eines Fußballspiels befassen. Das wäre am ehesten die Aufgabe eines politischen Journalisten. Die sind beim Fußball aber eher selten anwesend. Und so bleibt für die mediale Darstellung der Geschehnisse oft nur der Rückgriff auf offiziell zugängliche Quellen.
Wie so oft liegt auch hier die Wahrheit im Auge des Betrachters bzw. des Berichtenden. Eine beliebte Quelle stellen die Polizeipresseberichte dar, die sowohl schnell und einfach, als auch günstig, weil umsonst, zu erhalten sind. Nicht ohne Absicht, so berichtet Andrej Reisin, verfügen Polizeibehörden rund um die Uhr über besetzte Pressestellen, deren Berichte massive Verwendung in der professionellen Pressearbeit finden. Und so wird aus den ehemaligen Berichterstattern einer –gesellschaftlichen – Gegenposition, das Sprachrohr für die offizielle Darstellung staatlicher Institutionen.
Oft sind diese Berichte nicht nur die ersten, welche zur Verfügung stehen, sondern auch die einzigen Quellen. Am Beispiel der polizeikritischen Berichterstattung aus Anlass des Polizeieinsatzes beim Spiel FC Schalke 04 – PAOK Saloniki, erläuterte der Journalist, welchen Unterschied eine zweite Informationsquelle machen kann. Allein die Tatsache, dass der Verein Schalke 04 sich umgehend kritisch positionierte und Betroffene der Aktion sich meldeten, gab den Berichterstattern die Möglichkeit, eine „andere Wahrheit“, als jene der Einsatzkräfte, zu publizieren. Die Konstruktion einer medialen Realität, in der die echten Fans bunt und lustig und die „sogenannten“ Fans, die Ultras, als Fußballverbrecher dargestellt werden, fand in diesem Fall nicht statt. Die „bad guys“ des Fußballs erhielten bis zum Zurückrudern des Vereins Unterstützung durch die Medien. Soviel kann eine zweite Quelle bewirken.
Ob Ultragruppen und andere organisierte Fans Pressearbeit machen sollen, konnte Herr Reisin nicht beantworten, jedoch kommt ohne eine solche die eigene Meinung nie in den Medien vor.
All diese Faktoren führen dazu, dass im Prinzip harmlose Bilder mit der richtigen Überschrift eine hoch gefährliche Fußballwelt konstruieren können, die selbst die Politik dazu veranlassen kann, sich einzuschalten. Herr Reisin appelliert an die journalistische Verantwortung seiner Kollegen. Nicht selten erwachsen abgebildeten Personen im privaten Umfeld große Probleme, nur weil eine Schlagzeile sie als Gewalttäter bezeichnet, obwohl das dazu gehörige Foto keine Gewalthandlungen zeigt.
Dank der großen Presseagenturen verbreiten sich diese Bilder in hoher Geschwindigkeit und „irgendwas muss ja dran sein, wenn es doch in der Zeitung steht“.
Der Vortrag von Andrej Reisin führte den Anwesenden vor Augen, wie wichtig Medienkompetenz und das eigene Konsumverhalten in der heutigen Gesellschaft sind, denn auch die Presse bedient nur einen Markt, der ohne Nachfrage nicht existieren würde.

2017-03-27T15:49:49+00:00