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Spurensuche

Arminia Bielefeld und der Nationalsozialismus

Ein Beitrag zum Erinnerungstag im deutschen Fußball 2021

Der diesjährige Erinnerungstag im deutschen Fußball stellt die sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität von Menschen in den Fokus.

Der Tag erinnert uns alle daran, dass im “Dritten Reich” Menschen verfolgt und ermordet wurden, die nicht den Vorstellungen der Nationalsozialisten entsprachen. Neben Herkunft und Glauben waren es u.a. auch die sexuelle Orientierung oder die geschlechtliche Identität, die einen Menschen in den Augen der Nazis wertlos machten und tausendfach ein Todesurteil bedeuteten.

Auch die Gründung der Bundesrepublik 1949 stellte kaum eine Verbesserung für das queere Leben dar. Noch bis in das Jahr 1994 stellte der Paragraph 175 des Strafgesetzbuchs sexuelle Handlungen zwischen zwei Männern unter Strafe. Ein Paragraph, der seinen Ursprung im Reichsstrafgesetzbuch von 1872 hat und 1935 noch einmal verschärft wurde. All diese Menschen wurden als „Abartige“ nicht nur diffamiert, sondern mittels verschiedener Paragraphen systematisch diskriminiert, kriminalisiert und entsprechend rigide verfolgt. Bis hin zur Todesstrafe…

Wir haben diese menschenverachtende Politik zum Anlass genommen, uns diesbezüglich eingehender mit der Historie des DSC Arminia Bielefeld zu befassen. Auch wenn, zumindest nach heutigem Forschungsstand, nichts darüber bekannt geworden ist, dass die sexuelle Orientierung Vereinsmitgliedern zum Verhängnis geworden ist, so gab es zumindest auch genug Führungskräfte beim DSC, die spätestens ab 1934 die nationalsozialistische Ideologie weitgehend mitgetragen haben.

Am Beispiel des jüdischen Kaufmannes Julius Hesse, der bei Arminia von 1909 bis 1914 Vereinspräsident war und dem damals noch jungen Club aus seiner ersten finanziellen Krise helfen konnte, werden viele Ebenen der Diskriminierung sichtbar, die für die meisten Verfolgten der nationalsozialistischen Gesellschaft existentielle Bedeutung hatten.

Ausgehend von diesem Ansatz haben wir in Bielefeld einen Rundgang konzipiert, der sich mit den verschiedenen Aspekten der realen Verfolgung befasst. Zentraler Ansatz hierbei ist zu verdeutlichen, wie Diffamierung und Diskriminierung das alltägliche Leben im „Dritten Reich“ mehr und mehr bestimmt hat. Hierbei werden Täter wie Opfer in den Blick genommen.

Ein besonderer Aspekt dieses Rundgangs ist es weiterhin, anhand der aufgesuchten Orte zu verdeutlichen, dass nicht „irgendwelche Nazis“ für die Verfolgung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung und nicht nur dieser, verantwortlich waren. Verfolgung und Vernichtung war ab Mitte der 1930er Jahre im deutschen Reich ein alltägliches „Geschäft“, es basierte auf alltäglichen behördlichen Vorgängen, die auf der jeweils aktuellen Gesetzgebung beruhten.Eine umfassende Bürokratie befasste sich mit dem Aufspüren von Juden und anderen „Volksschädlingen“ und konnte dabei oft auf Denunziantentum wie Opportunismus in weiten Teilen der Bevölkerung bauen.

Von Arisierungen konnten alle Volksdeutschen profitieren, Geschäfte, Immobilien, Guthaben und Wertgegenstände aller Art wechselten so die Besitzer, die Behörden waren organisatorisch stets in die Vorgänge involviert.

All dies lässt sich an den einzelnen Stationen unseres Rundgangs ein wenig nachspüren. Julius Hesse und seine Familie stehen dabei exemplarisch für die Art und Weise, wie jene menschenverachtenden politischen Verhältnisse in Hitler-Deutschland dazu beigetragen haben, Menschen zu demütigen, zu vertreiben, und letztlich, mit beispielloser Konsequenz, massenhaft zu ermorden.

Das Schicksal der Familie Hesse ist Ausgangspunkt unseres Rundganges. Dieser führt zu Orten in jenem Stadtteil, in welchem sich auch die „Alm“, die Spielstätte von Arminia Bielefeld, befindet. Weil dieser Rundgang davon lebt, genau hinsehen zu müssen und Hintergründe zugänglich zu machen, haben wir ihn „Spurensuche“ genannt.

Wir profitieren bei dieser Spurensuche allemal davon, dass die Alm in einem gewachsenen Wohnviertel liegt, welches schon vor Beginn des Ersten Weltkriegs entstanden ist und somit „mittendrin“ im alltäglichen Leben liegt. Dies gilt daher erst recht für den Zeitpunkt bei Hitlers Machtergreifung, den 30.Januar 1933:

Der 1. Bielefelder Fußball-Club war kaum gegründet, da gab es einen jüdischen Präsidenten, der dem Verein aus seiner ersten existentiellen Krise half. Julius Hesse hat dieses in seiner Amtszeit (1909-1914) geschafft. 20 Jahre später wurde der deutsche Sport von den Nazis gleichgeschaltet, Karl Demberg, ein aufstrebender Anwalt und NSDAP-Mitglied, wurde zum „Vereinsführer“ ernannt. Jüdische Mitglieder wurden ausgeschlossen, Julius Hesse und seine Frau sind später in Theresienstadt bzw. Auschwitz ermordet worden.

Unweit der Alm befindet sich der Bürgerpark, der zu Ehren Hitlers an dessen Geburtstag, am 20.April1933, feierlich und unter großer Anteilnahme der Bevölkerung in „Adolf Hitler-Park“ umbenannt wurde. Selbstredend, dass die benachbarte Gaststätte dienstbeflissen eine entsprechend formulierte Annonce in der Zeitung inserierte, wo für einen Umtrunk geworben wurde, um auf das Ereignis gebührend anzustoßen. Für die tägliche Propaganda sorgten die Aushänge im „Stürmer“-Kasten, zu finden auf dem Siegfriedplatz, dem zentralen Platz des Stadtviertels unweit des Parks. Das antisemitische Hetzblatt Julius Streichers war allen zugänglich und ein wesentlicher Baustein der nationalsozialistischen Diskriminierungskampagne gegen Juden, Kommunisten und „Abartige“. Dies sind nur einige von mehreren Beispielen, an dem zu jener Zeit der neue, der nationalsozialistische Geist, Einzug in den Alltag der Bielefelder hielt. Und zur gleichen Zeit wurde in unmittelbarer Nähe zur Alm eine Gaststätte zu einem „Umschulungslager“ umgebaut. Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung wurden hier auf engstem Raum zusammengepfercht und mussten Zwangsarbeit leisten.

Unser Rundgang durch den Bielefelder Westen sucht diese historischen Orte der Täter, wie Opfer auf und ruft solche Ereignisse wieder ins Bewusstsein. Manches wird im wahrsten Sinne noch einmal sichtbar. Der Rundgang wird zukünftig (und wenn es die Corona-Verordnungen wieder zulassen) über das Fan-Projekt Bielefeld und das MAFA, das Vereinsmuseum des DSC Arminia Bielefeld, angeboten.

2021-01-27T12:02:25+00:00 27 Januar, 2021|Fankultur, Gesellschaft, Kampagnen, Veranstaltungen|